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Mittwoch, 27. September 2017

Offener Brief an die Besetzer der Volksbühne am Rosa Luxemburg Platz


(Bild: So könnte die Volksbühne, die Reste von Stadtenwicklungspolitik, die freie Kunst und der amtierende Kultursenator nach Eurer Besetzungs"performance" aussehen...)

Liebe Leute, geehrte Künstlerkolleginnen und Kollegen

Zu Beginn, erstmal Respekt für Eure grandiose Aktion und Euer bewundernswertes Engagement. Ihr habt es geschafft, die Stadtentwicklungspolitik, die Diskussion um Verdrängung, Finanzmarkt-Investmentirrsinn und dergleichen, wieder auf die politische Bühne Berlins zurückzubringen.

Aber eben auf die politische Bühne und nicht auf die Bühnen der Künste. Eure Aktion kann gar keine transmediale Inszenierung sein, sie ist eine zutiefst politische Inszenierung, ob ihr dies nun sehen wollt oder nicht, ist letztlich egal, wir Alle leben in Zeiten, wo man derlei Dinge nicht kontrollieren kann.

Die Forderung nach einer Interimsintendanz ist sehr gut, es bleibt zu hoffen, dass Dercon Rückrat genug besitzt, daraus sofort die Konsequenzen zu ziehen und kostenfrei seinen Abschied nimmt. Er könnte damit auch seinen Ruf retten. Dies ist aber nebensächlich, die Volksbühne am Rosa Luxemburg Platz wird auch einen Dercon und seine pseudomoderne Kulturmanagerei überleben.

Ich hatte heute leider das Nichtvergnügen an Eurem Plenum teilzunehmen, hatte mich auch mehrmals zu Wort gemeldet, leider ist es mit Eurer Basisdemokratie aber nicht so weit her wie ihr meint, mir wurde nicht das Wort erteilt. Darum dies Schreiben an Eure Adresse als offener Brief.

Ihr seid weit gekommen und hättet nun die Möglichkeit einen großen Sieg und Vor-schritt einzufahren, aber es scheint dies ist Euch nicht klar. Das Angebot der Kulturverwaltung, den Pavillion und den grünen Salon Eurer Initiative kostenfrei zur Verfügung zu stellen, ist eine Chance die ihr nie wieder bekommen werdet. Von diesen Räumen aus könntet Ihr Beteiligungspolitik, Stadtentwicklung und den erweiterten Kunstbegriff fördern und aktiv gestalten. Ihr könntet Euch auch selbst finden und für die Stadt Berlin große Dinge vollbringen. Unverständlicherweise scheint Ihr das aber abzulehnen und dies ist eine Katastrophe. Für Euer Engagement genauso, wie für uns freien Künstler dieser Stadt.

Ihr behauptet gegen Verdrängung und für Kooperation zu arbeiten, dabei verdrängt Ihr aber die Mitarbeiter und Künstler des Volksbühnen Ensembles, Ihr werdet damit genau zu den Gentrifizierern die Ihr angeblich bekämpfen wollt und ein kooperativer Ansatz ist dies ohnehin nicht. Ihr behauptet die Intendanz Dercon wäre unfähig, dies mag stimmen, aber Eure Einlassungen zu sozialer Skulptur und transmedialer Kunst heute Abend dokumentiert, so leid es mir tut dies schreiben zu müssen, die gleiche Unfähigkeit und schadet den Begriffen soziale Skulptur und transmediale Kunst über alle Maßen. Beide Dinge sind keine Neuheiten, sondern in der Kunst, so etwas wie ein alter Hut, der immer mal wieder neu angepinselt oder aber in Förderantragsprosa verwurschtelt wird. DADA, FLUXUS, Beuys und Co. drehen sich momentan im Grabe um.

Ihr behauptet, die Stadt zur Bühne machen zu wollen, auch dies - ein uralter Schlauch. Diese Stadt ist schon lange zur Bühne "verkommen", für Touristen, durchgeknallte Selbstdarsteller, bis hin zum Regierungstheater unter neofeudalen Bedingungen, das müsst Ihr jetzt nicht auch noch dynamisieren, es würde gegen Eure Anliegen wirken. Euer Verhalten hilft nur den rechten, finanzmarktgetriebenen Räubern, die Berlin Stück für Stück verschachern. Ihr überseht, dass Euer unsolidarisches Verhalten den Mitarbeitern und Künstlern der Volksbühne gegenüber, den rechten Kräften, also der FDP, AFD, CDU bis hin zur Sozialdemokratie voll in die Hände spielt und so Erscheinungen wie Dercon-Sprech für längere Zeit in Berlin festzementieren kann.

Wenn es Euch tatsächlich um die Kunst geht, dann müsstet Ihr sehen, dass die Volksbühne am Rosa Luxemburg Platz ein Theater ist, daß genau in Eurem Sinne Geistesarbeit und Kunstarbeit leistete und ihr dies nicht durch eine Haltung die sich bedauerlicherweise auch mit "Wir retten die Welt in 48 Stunden und wenn das nicht funktioniert, gehen wir wieder nach Hause und machen was Anderes" umschreiben ließe.

Was sind die möglichen Szenarios die auf Euch zukommen: Ihr nehmt den Vorschlag der Kulturverwaltung an, beginnt mit der Arbeit und fährt einen großen Erfolg ein. Der Betrieb des Hauses kann wieder aufgenommen werden, die Mitarbeiter und Künstler des Hauses werden nicht von Euch verdrängt und können in notwendiger RUHE arbeiten. Dercon geht endlich oder aber er bleibt, umso besser für Euch, wäret ihr dann doch der "Stachel in seinem Fleische" - eine bessere Sitaution kann es für Eure Anliegen gar nicht geben.

Oder aber, Ihr nehmt das Angebot nicht an, die politische Rechte der Stadt nimmt Klaus Lederer und den ganzen Senat in den Schwitzkasten und zwingt Müller zur Räumung. Eure berechtigten Anliegen wären als Anarcho-Vandalismus und schlechte Kunst auf immer diffamiert und sogar wir freien Künstler wären Dauerdiffamierungen und Schlimmerem ausgesetzt, argumentieren wir doch seit Jahrzehnten genauso wie Ihr. Im schlimmsten Fall müsste der Kultursenator sogar zurücktreten, die unsichtbare, aber existente "AfD/FDP/CDU/BZ/Tagesspiegel Gemeinsamkeit" wäre entzückt. Ihr hättet Euch fulminant selbst in die Pfanne gehauen und große Teile des progressiven Berlins noch mit dazu. Gentrification as its best, möchte man da meinen.

Schon trommeln die Medien der Stadt mit kleinbürgerlicher Law&Order Terminologie die Räumung ein. Wenn hundert Polizisten vor der Türe stehen, ist es zu spät. Ihr werdet dann sang-und klanglos gehen, da Ihr ja auch keinerlei Konzept habt, wie das Haus gegen den Rechtsanwaltsindustrie-Staat zu halten wäre.

Und eines noch, egal ob man Sex mit Gysi hatte, die soziale Skultptur für eine Neuigkeit hält oder transmediale Inszenierungen bahnbrechend empfindet, dies alles sind ganz andere Themen, die tatsächlich lange brauchen um weiterentwickelt zu werden. Unter den Bedingungen einer medienhysterisch aufgeladenen Besetzung, die die Arbeit in unser aller Volksbühne am Rosa Luxemburg Platz verunmöglicht, ist dies nicht machbar.

Ja Dercon muss gehen und ja, es braucht eine kulturelle Erneuerung, nicht nur in Berlin, sondern in der ganzen Welt. Aber auf unzähligen Ebenen, in Millionen und Abermillionen unterschiedlichen Kulturen und Räumen, in vielen Zeitfenstern an verschiedenen Orten. Erobert bitte die beiden Räume mit Annahme des Angebots, macht aus dem Pavillion und dem grünen Salon den vor-schrittlichsten Ort Berlins, aber bitte-bitte haut uns nicht Alle in die Pfanne, eine angemaßte Selbstverdrängung ist destruktiv für uns Alle - dies steht Euch schlicht und ergreifend nicht zu. Lasst uns gemeinsam und kooperativ die Zukunft bauen und das ist verdammt viel Arbeit.

mit solidarischen aber besorgten Grüßen

Martin L. Reiter (aka Nervös aka Gap-Man aka AtariHardCore aka NurSchrec!)

(Vorstand des Kunsthauses Tacheles von 1999-2012)

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